Ein Selbstinterview


1. Worüber schreibst du?

Ich schreibe über die Dinge, die mich angehen, die mein Leben ausmachen. Also über Lebensfragen: Was bedeutet das, was mir geschieht? Hat es einen Sinn? Wie ist der Sinn zu finden? Wie kann ich meinen Mitmenschen verstehen? Wo ist mein Platz im Leben? Wie lebe ich Liebe?

2. Wen geht das an?

Alle die, die auch über ihr Leben nachdenken. Mir fällt immer wieder auf, wie ähnlich wir alle einander zutiefst doch sind. Uns bewegen sehr ähnliche Fragen: die Fragen nach dem Sinn, nach der Liebe, nach der Erfüllung. Viele Menschen bewegen sich oft im Vordergrund dieser Fragen. Ich möchte die Fragen auf tieferen Ebenen ansprechen.

3. Was bedeutet „Schreiben” für dich?

Orientierung. Durch mein Schreiben finde ich mich in meinem Leben zurecht. Ich verstehe mich selbst und meine Mitmenschen besser, weil ich das hinterfrage, was mir geschieht. Ich merke das manchmal ganz handfest: Schon wenn ich einen Bleistift in der Hand habe oder vor meinem Rechner sitze, kann ich besser denken. Das ist das Resultat von 60 Jahren konsequenten Schreibens.
Durch das Schreiben komme ich mir selbst auf die Spur. Ich erkenne meine Wiederholungen, meine Fehler, meine Stärken.
Schreiben ist auch mein Beruf. Ich finde es ein Privileg, dass ich so meinen Lebensunterhalt verdienen kann – mit etwas, was ich sehr gern tue.

4. Wie passt dein Fotografieren zu deinem Schreiben?

Für mich ist es eine wunderbare Ergänzung. Schreiben ist oft ein Gefangensein im Kopf. Wenn ich dann mit der Kamera losziehe, geht es nur ums Sehen. Alles dreht sich ums Licht, um Relationen in der Natur, um die Kommunikation mit dem, was ich fotografiere. Es ist neben der körperlichen auch eine mentale Anstrengung – ich merke es daran, dass ich meistens erschöpft nach Hause komme – aber es ist eine andere Art von Anstrengung.
Ich fotografiere übrigens nicht, um meine Texte zu illustrieren. Es ist es ein ganz getrenntes Unternehmen. Ich konnte auch auf früheren Fotoreisen nicht schreiben. Ich mache beides getrennt und füge es dann später am Leuchtkasten oder am Computer zu einem Bildband zusammen.

5. Man sieht im Impressum deiner Bücher, dass du die Gestaltung deiner Bücher selbst machst. Wie kam es dazu?

Schon vor Jahren wurde es mir immer wichtiger: meine Bücher sollen wirklich „aus einem Guss” sein. Das Äußere soll das Innere des Buches tragen und reflektieren. Umschlag, Schrift, Schriftgröße, Einband, Illustrationen jeglicher Art – sie alle sollen die Aussage des Buches transportieren. Ein Grafiker hat nicht die Zeit, sich so intensiv mit einem Buch zu beschäftigen, wie ich es kann. So lernte ich, was ich zu diesem Handwerk brauchte und habe jetzt manchmal das Empfinden, dass die Gestaltung mir soviel Spaß macht wie das Schreiben und Fotografieren und mir auch so wichtig ist. Es ist ein dritter Ausdruck meiner Kreativität. Ich freue mich, dass meine Verlage mir diese Freiheit einräumen und mich machen lassen. Schon wenn ich die ersten Zeilen zu einem Buch schreibe, beginne ich auch die Gestalt des Buches, besonders den Umschlag, zu entwickeln. So ging es mir auch bei dem neuen Buch: Mit dir, ohne dich, mein Buch über die Demenz meiner Frau und unseren Umgang mit der Demenz. Ich entschloss mich schon früh Waltraud auch fotografisch zu begleiten und später dann auch noch Grafiken zu dem Buch hinzuzufügen. So entstand eine Art Gesamtkunstwerk.

6. Bist du ein religiöser Schriftsteller?

Das kommt darauf an, was man mit „religiös” meint. Wenn „religiös” vom Leben abgesplittert bedeutet, dann sehe ich mich nicht als „religiösen” Schriftsteller. Für viele hat Religion einen schlechten Beigeschmack bekommen. Religion geht sie nichts an. Für mich hat “Gott denken” immer zum Leben dazu gehört. Mein Gottes- und mein Menschenbild haben sich oft verändert, aber sie waren immer ein Teil meines Denkens.
Ich schreibe über das, was mich angeht, was mein Leben ausmacht und gehe davon aus, dass das auch andere angeht. Ich bekomme häufig von Lesern gemeldet, dass ich in einem Text genau das ausdrücke, was sie in ihrem Innern nur ungenau und ohne Worte empfunden haben. Da sehen sie es plözlich schriftlich vor sich. So begegnen wir uns. Für mich ist Glaube das, was mich unbedingt angeht – also nicht eine Reihe von Dogmen, Lehrsätzen und Bräuchen, sondern das, was mich im Tiefsten bewegt und wofür ich vielleicht zunächst noch nicht einmal Worte habe. Dem gehe ich nach.

7. Warum lebst du in Kanada?

Ich bin als Kind von zehn Jahren von meinen Eltern „ausgewandert worden”. Ich bin also in Kanada aufgewachsen, bin dort zur Schule gegangen, habe dort studiert und eine Familie gegründet. Ich bin im Norden des Landes aufgewach-sen, etwas südlich der Südspitze Alaskas. Die Landschaft hat mich geprägt. Das Land ist zu meiner Heimat geworden. Auch wohnen meine Kinder dort und viele meiner Freunde. Und doch ist auch Deutschland immer noch ein Stück Heimat. Ich lebe in und zwischen diesen beiden Welten.

8. Du hast in Deutschland deine größte Leserschaft. Wie erklärst du dir das?

Ja, das ist schon seltsam. Ich habe zwar acht Bücher bei einem guten amerikanischen Verlag veröffentlicht, aber vielleicht bin ich noch deutscher oder europäischer geblieben, als ich denke. Die Nordamerikaner scheinen manchmal nicht interessiert zu sein, Fragen in ihrer Tiefe nachzugehen. Das ist eine grobe Verallgemeinerung, aber ich glaube es stimmt etwas daran. Vielleicht ist in Nordamerika das Denken nicht so wichtig wie zu leben.

9. Du bist auf deinen Lesereisen in ganz unterschiedlichen Orten. Was bedeuten dir die jährlichen Lesereisen, die anstrengend erscheinen?

Kontakt mit meinen Lesern, Kontakt mit Menschen auf einem anderen Kontinent. Ich lebe in einer engen Beziehung zu meinen Leserinnen und Lesern. Ich schreibe nicht in einem Elfenbeinturm, sondern stehe mitten im Leben. Außerdem haben meine Frau und ich es genossen, immer wieder in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und in Südtirol zu sein. Wir hatten dort viele Freunde, und auch jetzt, nachdem sie gestorben ist, zieht es mich immer wieder nach Europa. Ich habe bis jetzt etwa 1500 Lesungen gemacht und hoffe im Herbst 2023 weiterzumachen. 
Die Reisen sind anstrengend weil ich oft tagelang jeden Tag in einem anderen Ort und damit auch in einem anderen Hotel sind. Aber die Reisen beleben auch: Es ist interessant zu sehen und zu hören, wo meine Leserinnen und Leser innerlich stehen und was sie erleben. Es gibt einen regen Austausch und das gehört für mich mit zu dem Schönsten, was ich als Mensch erleben kann. 
Machtrag: Ich weiß nicht, wie lange ich noch Lesereisen mache. Ich bin vor zwei Monaten 80 geworden und da fällt das Reisen und das Unterwegssein schon etwas schwerer.

10. Es hat von dir im Laufe von über vierzig Jahren über 200 Bücher und Hefte und Kalender gegeben. Was wirst du in Zukunft schreiben, oder hast du dich „ausgeschrieben”?

So wie sich mein Leben verändert, auch jetzt beim Älterwerden, so gibt es immer wieder Neues zu schreiben. Auch finde ich immer wieder neue Formen. Mich reizt in letzter Zeit die erzählende Prosa mehr denn je. Ich möchte das, was ich früher in Gedichten und Meditationen verarbeitet und gestaltet habe, jetzt in Figuren hineinfließen lassen und sie mit diesen Einsichten handeln lassen. Das Fabulieren und Erfinden macht mir Spaß. Ich glaube darum nicht, dass ich mich „ausschreiben” werde. Dafür gibt es zuviel Veränderung in meinen Leben. Das gilt besonders für die Zeit jetzt. Ich glaube, dass wir vor großen Veränderungen in unserer Welt stehen. Die möchte ich begleitend beschreiben.
Ich habe lange davon geträumt, dass ich im Alter dann nur ein Buch jedes Jahr oder sogar nur alle zwei Jahre mache, aber das ist anders gekommen. Verlage scheinen nicht mehr so interessiert zu sein an dem, was ich schreibe. So habe ich vor etwa 10 Jahren angefangen meine Bücher selbst zu drucken. Ich habe allein in den letzten 7 Jahren 5 neue Gedichtbände drucken lassen. Ich war damit ganz frei, den Inhalt und auch die Gestaltung der Bücher zu bestimmen. So sind einige interessante Bücher erschienen. Ich denke da and “Izzabelle und Eric”, ein Liebesroman über ein sehr ungleiches Paar. Beide sind interessiert eine tiefere Beziehung einzugehen. Das ganze Buch ist nur mit E-Mails gestaltet. Oder das Buch “Du bist gegangen” – ein Roman über ein Paar, das sich nach 20 Jahren trennt, aber die Frau hat einen Vorschlag, wie sie ihre Beziehung retten können – durch eine ganz andere Sicht von Liebe. Oder ein dritter Roman mit dem Titel “Geliebte Klara” über die Beziehung von Franz von Assisi und Klara, seine Freundin. Franz schreibt einen langen Brief an Klara am Ende seines Lebens, in dem er eine andere Sicht für sein Leben entwickelt. Oder “Opferung” ein Roman in dem ein Papst ist bereit zu töten, um Leben zu retten. Auch das Sachbuch “Herzenswerte” konnte ich so schreiben. Neun Werte, um die es im Leben geht, wenn wir erfüllt leben wollen. Im Stillen hoffe ich immer noch, dass sich ein Verlag für diese Bücher interessieren könnte, allein um ihnen eine größere Verbreitung zu geben.


11. Warum besuchst du einen gewissen Ort auf einer Lesereise?

Weil ich eingeladen wurde. Ich komme dahin, wo man an meinen Gedanken interessiert ist, egal wie groß oder klein der Ort ist. Ich ziehe kleine Ort vor, weil dort eine Lesung nicht im Überangebot untergeht.

12. Wie wählst du das  Thema für deine jeweilige Lesereise?

Ich höre in mich hinein und versuche, zu ahnen,  was jetzt in meinem Leben und im Leben der Welt „dran” ist. Mir ist es wichtig, aus meiner Situation in die Situation der Menschen um mich hineinzusprechen. Um dieses tun zu können, muss ich wissen, wie es in mir aussieht. Eine Lesereise ist eine Art „Bewußt-werdung” – für mich selbst und für die Zuhörerinnen und Zuhörer. Wir stehen zusammen in dem Abenteuer unseres Lebens.

13. Wie erklärst du dir, dass so viele Leserinen und Leser sich in deinen Texten so stark wiederfinden?

Ich glaube, dass wir in ähnlichen Prozessen in unserem Leben stehen. Wir stehen alle in der gleichen sich verwandelnden Welt. Wenn ich ehrlich über das schreibe, was mich bewegt und was ich erlebe, dann weiß ich, dass das viele angeht: Wir sind alle nicht so unterschiedlich.
Als ich vor über 40 Jahren meinen Beruf als Dozent aufgegeben habe, um mehr Zeit zum Schreiben und Fotografieren zu haben, habe ich nicht gedacht, dass meine Bücher so aufgenommen werden würden. Inzwischen verstehe ich, wie brennend wichtig die Fragen um die eigene Bedeutung und den Sinn im eigenen Leben sind. Da versuche ich mit meinen Büchern immer wieder anzusetzen. Es sind ja auch meine Fragen.

14. Von deinen Werken sind mehr als 5 Millionen Exemplare in 10 Sprachen verkauft worden. Wie gehst du mit dem Erfolg um?

Erfolg ist relativ. Es gibt verschiedene Arten ihn zu messen: Buchverkäufe, kritische Artikel über Bücher, Literaturpreise, Rückmeldungen von Lesern, die mit den Büchern etwas erlebt haben. Ich hätte gern alle, aber bei mir konzentriert sich der Erfolg auf die letzte Form: Meine Bücher scheinen anhand der Rückmeldungen nicht nur Lesematerial für meine Leser zu sein, sondern die Leser lassen sich von meinen Gedanken begleiten. Sie gehen ein Stück zusam-men mit mir durchs Leben und ich gehe mit ihnen. Für mich als Mensch und als Schriftsteller ist das ein besonderes Vorrecht. 
Der Erfolg mit meinen Lesern ist mir am wichtigsten. Ich wünsche ihnen und mir eine gemeinsame Bewusstwerdung. Besonders dieser „Erfolg” löst in mir eine tiefe Dankbarkeit und Demut aus.

15. Hast du unter deinen Büchern ein Lieblingsbuch?

Meistens ist das Buch, an dem ich gerade arbeite, mein Liebslingsbuch. Ich kann meine Bücher nur schwer miteinander vergleichen. Ein großer Bildband ist etwas ganz anderes als ein reiner Textband, ein Heft über ein eingegrenztes Thema etwas anderes als ein Band mit Gedichten, die über Jahre hin entstanden sind.
Aber wenn ich etwas wählen müsste, dann würde ich wahrscheinlich einerseits „Das Handbuch der Mutigen” und andererseits „Leuchtende Natur” wählen. Im „Handbuch” kommt in relativ kurzen Texten viel von dem zusammen, was ich über viele Jahre hin gedacht und durchgearbeitet habe. Von seiner Form her, ist es ein einfaches Buch – es sind Beschreibungen wie die Mutige und der Mutige leben. Ich glaube, dass der Mut in unserer Zeit besonders wichtig ist. „Leuchtende Natur” ist ein Bildband, in dem ich mich besonders als Fotograf vorstelle. Ich habe dafür die schönsten Bilder der letzten Jahre ausgewählt. Das Buch ist Ausdruck meiner Liebe zu der natürlichen Welt. Die Texte sind ganz kurz, fast schon Epigramme. Ich bin nach Neuseeland, Island, Schottland, Mexiko und in so manche Bundesstaaten der USA gereist, um diese Bilder zu machen. In den Texten greife ich meine Liebe zur Natur noch einmal auf, bleibe aber nicht bei dem Äußeren stehen, sondern betrachte auch die innere Schönheit, die wir in uns tragen. 

16. Wie reagierst du darauf, wenn jemand deine Bücher nicht als “ernst zu nehmende Literatur” betrachtet?

Ich habe Literatur studiert und unterrichtet und kenne darum die Kriterien für Literatur, für Belletristik. Für mich ist Literatur, wenn sie veröffentlicht wird, auch Kommunikation zwischen dem Schriftsteller und Leser. Ob ein Buch schwierig zu lesen ist, ob es Formen gebraucht, die alt oder neu sind, ob es eine einfache oder eine komplizierte Sprache gebraucht sind für mich nicht die wichtigen Fagen. Wichtig ist für mich, ob es ehrlich und authentisch ist und ob es in irgend einer Form zu einem tieferen Verständnis des Menschen beiträgt. Dazu kommt für mich auch immer häufiger die Überlegung, ob ein Buch wirklich ein Teil der Lösung unserer komplexen Probleme ist, oder ob es diese Probleme vergrößert. Ich sehe so zum Beispiel nicht den wahren Beitrag eines Buches, in dem es viel Gewalt gibt, auch wenn das zu uns als Menschen gehört. Es reicht mir nicht, nur eine Zustandsbeschreibung zu lesen. Ich weiß, dass Literatur nicht nur dazu da ist, Probleme zu lösen oder dem Leser ein gutes Gefühl zu verschaf-fen. Und doch möchte ich mit meinem Schreiben mehr Verständnis schaffen und nicht nur die Skepsis, die berechtigt sein mag, betonen. Dafür muss ein Text verstehbar sein, darf aber nicht platt und kitschig wirken. 
Wenn jemand meine Bücher nicht ernst nimmt, weil sie nach Lösungen suchen, oder weil sie die Schönheit der Welt und des Menschen beschreiben, oder weil sie die Lernfähigkeit eines Menschen oder die Fähigkeit des Menschen, über sich selbst hinauszuwachsen betonen, oder weil sie von einer Grundentscheidung für die Hoffnung ausgehen und nicht von einer unausweichlichen Zerstörung, dann finde ich das das eine zu enge Sicht von Literatur.
Ich bin kein Literat im Elfenbeinturm, sondern ein Mensch, der mitten im Leben steht. Ich habe mich vor vielen Jahren ganz bewusst entschieden, aus der Mitte meines Lebens heraus und aus der Mitte der Welt heraus zu schreiben. 

17. Du sagst, dass du vor Kurzem 80 geworden bist. Das ist ein Alter, in dem die meisten Schriftsteller längst aufgehört haben zu schreiben. Wie ist das bei dir? 

Ich schreibe weiter. Wie ich schon sagte, ist gerade im Februar 2023 ist mein neues Buch MIT DIR, OHNE DICH, über die Demenz meiner Frau und unseren Umgang mit der Demenz erschienen. Ich freue mich sehr, dass der Patmos Verlag sich entschlossen hat, das Buch zu veröffentlichen und ich wünsche, dass es möglichst viele Leser erreicht, weil es ein so wichtiges, berührendes Thema ist. Ich kann mir vorstellen, dass es mein wichtigstes Buch sein wird. Es war sehr schwer das Buch zu schreiben, weil auch über den Verfall eines geliebten Menschen berichtet, mit dem ich über 50 Jahre meines Lebens geteilt habe. Nebenher schreibe ich an einem Buch über Nähe, mit dem Titel “Alphabet der Nähe”. Auf die eine oder andere Weise suchen die meisten Menschen eine Form von Nähe. Wir leben von Nähe, wir brauchen sie, wenn wir nicht schwer verletzt worden sind und unser Vertrauen ganz verloren haben.

Außderdem schreibe ich fast jeden Tag an Gedichten und es gibt jedes Jahr einen neuen Gedichtband. Wie ich schon sagte, ist es meine Art mich im Leben zu orientieren. In meinen Texten reflektiere ich, was mir wichtig ist und was mir das Leben präsentiert. Es gibt ein Gedicht von mir, das mit den Zeilen beginnt:

 Ich werde mitten in einem Gedicht sterben.

Das kann ich mir vorstellen.
Aber ich habe auch noch einen Roman, der in mir rumort und den ich gerne schreiben möchte. Aber ich möchte noch nicht darüber reden.

18. Wie siehst du dein Alter generell?

Früher nannte man Menschen wie mich “Greise”. Das ist für mich wie ein Fremdwort, das nicht auf mich passt. Ich versuche jeden Tag so erfüllt zu leben, wie es geht und wie es mir vergönnt ist. Dabei merke ich, wie wichtig die eigene Einstellung ist. Solange ich lebe, möchte ich wirklich im Leben stehen und mich nicht zurückziehen, nur weil ich nicht mehr so leben kann wie früher. Ich glaube, dass jedes Alter seine Nachteile aber auch seine Vorteile hat.
Ich habe das Vorrecht mich immer mehr auf transzendente Werte konzentrieren zu können. Ich kann in großer Stille leben. Ich muss nichts mehr, oder nur noch sehr wenig. Ich kann einen langsam größer werdenden Durchblick genießen.

19. Durch Covid konntest du zwei Jahre lang keine Lesereisen mehr machen. Da hast du mit Webinaren auf Zoom begonnen. Wie ist es dir dabei ergangen?

Sehr gut. Ich habe es genossen und genieße es noch. Bis heute, Februar 2023, habe ich über 30 Seminare am Netz gemacht. Es hat sich eine Zuhörerschaft gebildet, die jetzt manchmal wie ein Großfamilie zu sein scheint. Wir kennen uns, auch die Teilnehmer untereinander kenne sich immer besser. Es ist jedes Mal ein Begrüßen und ein sich Freuen, einander wieder zu sehen. Ich habe manchmal das Empfinden, dass ich den Teilnehmern über Zoom besonders nah kommen kann. Sie sehen mich groß auf ihrem Computer, Tablet oder Smart Phone und wenn sie eine Frage stellen, sehe ich sie ebenso groß. Ich bin ihnen näher, als wenn sie bei einer Lesung in der zehnten Reihe sitzen. Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit und möchte sie auch fortsetzen, auch wenn es jetzt wieder leichter ist Lesereisen zu machen.
Auch habe ich zusammen mit Anja Erz meine neue Website gestaltet. Ich überlege, ob ich da auch noch aktiver werde, ähnlich wie auf Facebook, wo ich oft fast täglich etwas poste. Ich kann mir vorstellen einen Blog zu schreiben, in dem ich mir Gedanken über die Entwicklung der Welt mache, aber auch über ganz alltägliche Fragen und Situationen nachdenke. Es wird sich zeigen.

20. Denkst du öfter an deine Zukunft?

Ja, meine Zukunft beschäftigt mich täglich. Ich habe so in etwa meine Lebenserwartung erreicht und lebe jetzt von besonders geschenkter Zeit. Ich habe gerade in den letzten Tagen über die Schönheit der menschlichen Seele nachgedacht. Ich möchte meine Seele in der mir verbleibenden Zeit schmücken. Sie soll leuchten und ein Licht sein. 
Auch überlege ich viel, was es heißen mag, sich für das Sterben vorzubereiten. Ich habe noch nicht viele Antworten, weiß aber, dass es ums Loslassen geht. Das übe ich und hoffe, bereit zu sein, wenn es soweit ist.